Der sechste Passagier by Theodor Kallifatides

Der sechste Passagier by Theodor Kallifatides

Autor:Theodor Kallifatides [Kallifatides, Theodor]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Saga
veröffentlicht: 2015-07-17T00:00:00+00:00


33

'Dannegården' ist weder das größte noch das teuerste Hotel in Trelleborg, aber das hübscheste. Kristina hatte dort ein Zimmer gebucht, und Nikki von Lauterhorn hatte das Hotelrestaurant als Treffpunkt vorgeschlagen, weil es eine ausgezeichnete Küche hatte. 'Wenn man schon über unangenehme Dinge reden muß, kann man dabei ja wenigstens gut essen', hatte sie gesagt, mit einem ganz kleinen Lachen, das ihre Worte sowohl betonte als auch abschwächte.

Das war eine Fertigkeit, die sie sich während ihrer Jahre im Modegeschäft angeeignet hatte, wo eine unbedachte Frage oft als Beleidigung aufgefaßt wurde. Es kam dort darauf an, immer nur Dinge zu sagen, die man leicht wieder zurücknehmen konnte.

Kristina hatte nichts dagegen. Und so saßen sie nun in dem schönen Speisesaal, in dem sie vorläufig die einzigen Gäste waren. In einiger Entfernung stand ein Kellner, die Hände hinter dem Rücken verschränkt und bereit, sich rasch zu nähern, wenn man ihn brauchte.

Es stellte sich heraus, daß sie beide keine Gourmets waren. Sie aßen irgendeine Sorte Fisch und tranken irgendeinen Wein dazu.

Beide ließen den Nachtisch weg und hatten das Gefühl, damit die gute Tat des Tages vollbracht zu haben. Das Beste aber kam noch.

Anfangs verlief das Gespräch ein wenig zäh. Sie redeten vor allem über die Probleme bei der Bergung des Flugzeugs und Nikkis schwierige Verhandlungen mit der Versicherungsgesellschaft. Noch war nichts entschieden.

'Dannegården' hat das beste Digestif-Sortiment Schwedens, was durch ein Diplom an der Wand bekräftigt wird. Weder Kristina noch Nikki waren Expertinnen auf diesem Gebiet, aber sie konnten der Versuchung nicht widerstehen, vom angeblich ältesten Whisky der Welt zu kosten, der 1919 bei Springbank im schottischen Campbeltown destilliert worden war. Eine einzige Flasche dieser Abfüllung hatte in Springbanks Privatkeller überlebt, bis sie auf irgendwelchen Umwegen nach Schweden geriet, direkt ins Hotel 'Dannegården'.

Das Restaurant ließ sich das Getränk natürlich nach dem Prinzip bezahlen: 'Was viel kostet, schmeckt auch gut.' Nikki konnte sich leisten, es zu spendieren, und Kristina konnte sich leisten, es anzunehmen.

Dies war kein Verhör, Nikki von Lauterhorn stand nicht unter Verdacht. War der Whisky seinen Preis wert?

Bemerkenswerterweise war er das, obwohl sicher die Hälfte davon der Einbildung geschuldet war. Auf jeden Fall half er, die Zunge zu lösen und das Mißtrauen zu verringern, mit dem sie einander immer noch betrachtet hatten. Jetzt begannen sie, sich in die Augen zu schauen und beim Lächeln die Zähne zu zeigen.

Der richtige Moment war gekommen.

'Warum haben Sie uns nicht die Wahrheit gesagt?'

Nikki antwortete nicht gleich. Mit einer eleganten Drehung des Kopfes machte sie den Kellner auf sich aufmerksam und bestellte Kaffee. Dann wartete sie, bis er serviert und der Kellner auf seinen Posten zurückgekehrt war.

'Sie müssen mir natürlich nicht glauben, aber ich hatte nicht die Absicht, etwas zu verheimlichen. Ich fand nur, daß mein Verhältnis mit Fredrik die Polizei nichts anging. Verstehen Sie, seit meinem vierzehnten Lebensjahr habe ich in einem gläsernen Käfig gelebt. Ich war nicht nur sichtbar, ich wurde kontrolliert, taxiert und beurteilt wie eine junge Kuh auf dem Viehmarkt. Ich wurde allergisch gegen diese Lebensweise, ich bekam Pickel im Gehirn, ich wollte mit mir allein sein – und mit dem, dessen Bett ich teilte.



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